«Cockpit»-Online hat eine neue Serie etabliert und bietet den Leserinnen und Lesern einen zusätzlichen Mehrwert: In unregelmässigen Abständen werden Fach-Beiträge zum Thema «Flight Safety» publiziert. Davon profitieren Pilotinnen und Piloten der Leichtaviatik in der Praxis und erweitern Enthusiasten ihr theoretisches Wissen. Die beiden Profis Kerstin Mumenthaler und Tino Janke widmen sich aus persönlicher Überzeugung und mit leidenschaftlichem Eifer dem Thema «Flugsicherheit». Als erfahrene Linien-Piloten und Experten im Bereich Flugsicherheit transportieren sie das Wissen aus dem Airliner-Cockpit in die General Aviation. Eingängig, pointiert und mit dem Fokus auf die wirklich wichtigen Punkte.
In diesem zweiten Beitrag unter dem Titel «KISS Safety Management - auch für die General Aviation? Möglich? Notwendig? Übertrieben?» diskutieren wir die Frage, was am Anfang von (Flight) Safety steht und warum die persönliche Resilienz ein entscheidender Erfolgsfaktor ist.
Change, Continuous Improvement, Resilience – Diese Schlagworte sind momentan in aller Munde. Wir wollen agil sein. Und dabei natürlich möglichst resilient und ausserdem flexibel auf jede Veränderung reagieren können. Was im normalen Alltag noch als «nice to have» gilt, muss im Cockpit – und zwar egal ob Airline oder Privatflugzeug – als absolute Notwendigkeit angesehen werden.
«Alles, was wir in der Luftfahrt wissen, jede Regel im Regelwerk, jedes Verfahren, das wir haben, kennen wir, weil irgendwer irgendwo starb…» Cpt Chesley Sullenberger
Die professionelle Luftfahrt gilt heute zu Recht als eine der sichersten und effizientesten Industrien, weil sie es wie kaum eine andere Branche geschafft hat, aus Rückschlägen zu lernen. Entscheidend ist der unbändige Wille, sich stets zu verbessern, kombiniert mit einer moralischen Verpflichtung, eben nicht zu vergessen.
Die «Lessons Learned» werden konsequent aufgelistet. Verfahren, Techniken und Prozesse werden laufend angepasst. Manchmal geschieht das relativ lautlos in der Operation, manchmal braucht es dafür aber auch grössere, verändernde Projekte. Die Akzeptanz bei allen Beteiligten ist dafür aber immer gegeben. Uns Piloten ist das Umfeld und die Risiken dazu bewusst.
Doch ist diese «Change Kultur» allein damit zu erklären, dass wir selbst mit im Flugzeug sitzen und aus dem Interesse unseres eigenen Überlebens handeln?
Natürlich agiert man anders, wenn es um das eigene Leben und jenes vieler Passagiere geht. Aber ich glaube, dass unser Handeln und unsere Motivation im Umgang mit Fehlern noch andere Beweggründe hat. Und damit kommen wir zurück auf die Eingangsfrage: was steht am Anfang eines erfolgreichen Safety Managements?
Bewusstsein!
Wichtig ist auch, dass Fehler nicht als Start in ein Blame Game mit nutzlosen Strafen gesehen werden, sondern als echte Chancen mit Verbesserungspotential. Unser Stichwort dabei ist eine gut etablierte «Just Culture». Darauf gehen wir in den nächsten Blogs näher ein.
Das bedeutet auch, einen intensiven Aufwand zu betreiben, um in jährlichen Schulungen das Bewusstsein jedes Einzelnen in genau diese Richtung zu schärfen. Das Ergebnis lohnt sich jedoch!
Denn: «Wer einen Fehler begeht, und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten» (Konfuzius)
Was kommt nach dem Bewusstsein? Resilienz und Entscheidungsfindung als weitere Eckpfeiler von Safety Management. Resilienz: Wir hören und lesen nahezu überall, wie wichtig sie im Berufs- und Privatleben ist. Doch was genau bedeutet das allgemein und speziell für uns Piloten?
Eine entscheidende Grundlage für Resilienz ist – wie oben geschrieben – die Fähigkeit zum Wandel in Zusammenhang mit einer funktionierenden Fehlerkultur. Ein weiterer Pfeiler: die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen.
Was bedeutet Resilienz allgemein? Per Definition ist «Resilienz – auch Anpassungsfähigkeit – der Prozess, in dem Personen auf Probleme und Veränderungen mit Anpassung ihres Verhaltens reagieren». Je besser und schneller wir uns anpassen bzw. erholen können, als desto resilienter gelten wir. Es geht also darum, wie schnell wir uns aus menschlichen Reaktionen auf z. B. Stress oder Krise befreien und der neuen Situation anpassen können.
Wesentlich ist dabei, welche Entscheidungen wir treffen, und zwar sowohl in qualitativer als auch in zeitlicher Hinsicht. Je strukturierter wir dies tun, umso handlungsfähiger bleiben wir.
Sehr oft sehen wir endlose Diskussionen ohne konkrete Entscheidungen. Es scheint menschlich, eine gewisse Lähmung in Stress- oder emotional schwierigen Situationen zu zeigen. Die Verantwortung liegt schwer auf den Schultern, die Angst vor einer falschen Entscheidung überwiegt oft. Im Flugzeug wäre eine solche Lähmung unter Umständen aber tödlich. Schnelles und vor allem konsequentes Handeln ist ein wichtiger Erfolgsfaktor im Cockpit.
Airlines bedienen sich daher Entscheidungsfindungsmodellen, um einer möglichen Lähmung entgegenzuwirken. Das Bekannteste ist das FORDEC-Modell. Dabei werden F wie Fakten gesammelt, O wie Optionen entworfen und mit R wie Risiken abgewogen. Nach diesen drei Schritten gibt es kein zurück, es wird eine D wie Decision, also Entscheidung, verlangt. Danach wird diese Entscheidung mit dem E wie Execution ausgeführt. Ganz wichtig wird zum Schluss mit C wie Check noch überprüft, ob das Resultat tatsächlich wie gewünscht ist, oder ob der Prozess von vorne gestartet werden muss.
FORDEC ist ein mögliches Modell, aber es gibt natürlich auch andere. Es spielt keine Rolle, welches Modell angewendet wird. Entscheidend ist die Tatsache, dass überhaupt ein einheitliches Modell genutzt wird, sodass alle Beteiligten wissen, an welchem Punkt im Prozess man steht und es auch für einen selbst einen roten Faden gibt. Dieser rote Faden ist klar strukturiert, faktenbasiert und ergebnisoffen. Und das ist ein Schlüssel für unsere eigene Resilienz. Denn wenn wir es schaffen, faktenbasiert und in manchen Fällen schnell zu entscheiden und zu handeln, werden wir auch schnell mit Situationen zurechtkommen und dafür sorgen, dass sie uns nicht vom Kurs abbringen oder gar aus der Bahn werfen.